Immer eine passende Idee: Die Tüftler des Entwicklungsbetriebs Part-21

  • Mitarbeiter des Entwicklungsbetriebs der DRF Luftrettung besprechen einen Prototypen.
    Mitarbeiter des Entwicklungsbetriebs der DRF Luftrettung besprechen einen Prototypen.

Technisches Know-how sowie kreatives und vernetztes Denken gehören zum Handwerkszeug der Mitarbeiter im Entwicklungsbetrieb, dem Fachbereich Part-21. Sie sind der erste Ansprechpartner für den Instandhaltungsbetrieb, wenn es um die Umsetzung individueller technischer Entwicklungen geht. Wie aus einer Idee letztlich ein zertifiziertes Produkt wird, darüber haben wir mit Sven Hannen, Leiter Musterprüfleitstelle im Fachbereich Part-21, gesprochen.

 

Das Operation Center der DRF Luftrettung in Rheinmünster: Im Büro von Sven Hannen und Michael Kunze, Leiter Fachbereich Part-21, deutet auf den ersten Blick nur wenig darauf hin, dass sie – gemeinsam mit ihren neun Kollegen – auf den Spuren Daniel Düsentriebs wandeln. Auf den ersten Blick sieht man Computer, Schreibtische und eine Menge Papier. Geht man in die angrenzenden Räume, wird jedoch schnell klar: Verantwortungsbewusstsein und Einfallsreichtum sind hier mehr als gefragt. Das bestätigt sich auch im Gespräch mit Sven Hannen. Die Arbeit des Teams erfordert zudem ein Bewusstsein für Gesetzesvorgaben und -richtlinien. Sven Hannen fasst die Arbeit der Abteilung so zusammen: „Wir dürfen an kleinen und großen Hubschraubern Modifikationen sowie Reparaturen im Bereich Avionik und Struktur durchführen.“

Große Modifikation – große Verantwortung

Was eher nüchtern klingt, offenbart sich als abwechslungsreicher Arbeitsalltag: Der Entwicklungsbetrieb ist bei all diesen Modifikationen stets der primäre Ansprechpartner. Bei großen Modifikationen können die Kollegen in Zusammenarbeit mit der EASA (European Union Aviation Safety Agency, Europäische Agentur für Flugsicherheit), ein so genanntes STC (Supplemental Type Certificate, ein erweitertes Zertifikat eines Luftfahrzeugs nach einer Designänderung) ausstellen. Was sich dahinter verbirgt, definiert Sven Hannen so: „Ein System in unsere Hubschrauber zu integrieren, ist in etwa damit zu vergleichen, wenn man in sein Auto ein anderes Fahrwerk einbauen möchte. Das Auto ist nach klaren Bauvorschriften hergestellt und zugelassen. Durch ein geändertes Fahrwerk erlischt die Betriebserlaubnis. Für die Teilnahme am Straßenverkehr ist deshalb ein Nachweis erforderlich, dass das neue Fahrwerk im Auto den Bauvorschriften entspricht. Das ist entweder möglich, indem der Hersteller des Fahrwerks sein Produkt bereits mit genau diesem Auto zugelassen hat. Dann bekommt der Halter des Fahrzeugs eine sogenannte ABE (Allgemeine Betriebserlaubnis). Gibt es keine ABE, muss der Fahrzeughalter zum TÜV und dort eine Einzelabnahme vornehmen lassen. Der TÜV, prüft, testet und schaut sich die Bauvorschriften an. Wenn alles für gut befunden worden ist, gibt es einen Eintrag im Fahrzeugschein. Der Halter ist in unserem Fall die CAMO (Continuing Airworthiness Management Organisation). Die Funktion des TÜVs ist ein Teil der Aufgaben, die der Part-21 in einem Luftfahrtunternehmen wahrnimmt.“
 

Von der Anforderung zum einsatzfähigen Produkt

Ein zu entwickelndes Produkt (im Sinne von Reparatur, Modifikation) muss nicht nur den Anforderungen der DRF Luftrettung oder externer Kunden gerecht werden, sondern nachweisbar alle relevanten gesetzlichen Richtlinien erfüllen. Diese Präzision ist unerlässlich, um Menschenleben zu retten. Sowohl unsere Besatzungen als auch die Patient*innen müssen sich im Notfall auf die Zuverlässigkeit unserer Hubschrauber verlassen. Diese Zuverlässigkeit muss anhand von Tests und genauen Berechnungen nachgewiesen werden. Von der Idee zum fertigen Produkt durchläuft die Entwicklung verschiedene Phasen. „Wir dürfen natürlich nicht einfach überall rumschrauben“, macht Sven Hannen mit einem Augenzwinkern klar.

Nach Schritt 1, dem so genannten „Scope of work“, der beschreibt, welche Bereiche von der Entwicklung betroffen sind, erfolgt die weitere Klassifizierung: kleine oder große Modifikation? Handelt es sich also um einen eher geringfügigen Umbau der Maschine, etwa den Einbau eines Funkgeräts oder einer Borduhr? Oder liegt eine erhebliche Veränderung vor – zum Beispiel, wenn das Cockpit mit einem Touchscreen ausgestattet werden soll? „Derart umfangreiche Anpassungen dürfen wir nicht selbst zertifizieren und zulassen. Da muss die EASA mit ins Boot“, erklärt Sven Hannen. Egal, welche Art der Modifikation vorgenommen werden soll: Die Verantwortung für den ersten Einbau, also den so genannten Musterbau (Initial Airworthiness) und die dazu gehörigen Dokumente, liegt beim Fachbereich Part-21.

Ist das Produkt im „Prototype status“ entwickelt, wird es an den Instandhaltungsbetrieb, Fachbereich Part-145, übergeben. „In enger Zusammenarbeit mit dem Part-21 setzen die Kolleginnen und Kollegen dort die Modifikation im Hubschrauber um – und zwar nach den genehmigten Anweisungen und Unterlagen, die von uns erstellt wurden“, sagt Sven Hannen. „Nach erfolgtem Einbau schließen sich weitere Untersuchungen wie die Überprüfung auf elektromagnetische Verträglichkeit an.“ Sind alle Tests erfolgreich absolviert, werden alle Nachweise final vom Musterprüfingenieur gesichtet und die Einhaltung aller Paragraphen sowie Richtlinien überprüft. „Der finale Blick auf alle Unterlagen und Dokumente gehört Michael Kunze. Erst, wenn er keine Beanstandungen mehr hat, unterschreibt er das Zertifikat. Und auch erst dann ist die Lufttüchtigkeit des Hubschraubers wieder in Kraft gesetzt“, so Sven Hannen.

 

Zertifiziert und marktreif

Mit der Markteinführung ist die Arbeit des Entwicklungsbetriebs aber nicht abgeschlossen: „Nach der Markteinführung spielen Entwicklungsaktivitäten erneut eine Rolle, wenn Modifikationen, Erweiterungen oder umfangreiche Reparaturen am Ursprungsprodukt vorgenommen werden“, verdeutlicht Sven Hannen. Bei einem Teil ihrer Tätigkeit müssen die Mitarbeiter also nicht kreativ werden: der Suche nach neuen Aufgaben, denn die gehen ihnen so schnell nicht aus. 

Der Fachbereich Part-21 / Entwicklungsbetrieb auf einen Blick

Die Kernaufgaben des Fachbereichs:

  • Entwicklung von Reparaturverfahren 
  • Identifikation, Zuordnung und Interpretation der Bauvorschriften und umweltrechtlichen Grundlagen
  • Nachweiserbringung zur Sicherheit und Lufttüchtigkeitsanforderungen einer Modifikation
  • Vorbereitung und Beantragung behördlicher Entwicklungszulassungen.

Für die von ihm entwickelten Modifikationen erstellt Part-21: 

  • Konstruktionsunterlagen 
  • Betriebs- und Instandhaltungsvorgaben (Handbücher/Manuals)
  • genehmigte Herstellungsvorgaben (Approved Design Data) sowie genehmigte Instandhaltungsvorgaben (Approved Maintenance Data)

Auf Basis der Arbeit des Entwicklungsbetriebs erteilt die EASA direkt und teilweise indirekt Lufttüchtigkeitszeugnisse (Musterzulassungen – engl.: Type Certificate) und Zulassungen für Reparaturverfahren.
 

Im Portrait: Sven Hannen

Nach seiner Ausbildung zum Elektroinstallateur absolvierte Sven Hannen zunächst seine Grundausbildung bei der Bundeswehr und verpflichtete sich anschließend für sechs, nach Ablauf dieser Zeit für weitere sechs Jahre. Dort war er im Bereich Funk für die Reparatur und Instandhaltung der Kommunikations- und Navigationsanlagen in Tornado-Flugzeugen verantwortlich. Seine Zeit bei der Bundeswehr beendete er in der Funktion des Fachgruppenleiters Funk. Es folgte eine Ausbildung zum staatlich geprüften Luftfahrttechniker mit Schwerpunkt Avionik und gleichzeitig auf der Technikerschule zum Qualitätsbeauftragten und anschließend zum Qualitätsmanager. Zusätzlich absolvierte er den theoretischen Teil der Ausbildung für Freigabeberechtigtes Personal B2 (Avionik).

 

Im November 2011 begann er seine Arbeit als Entwicklungsingenieur im Bereich Avionik bei der DRF Luftrettung. Eine bewusste Entscheidung: „Nach einem Erlebnis bei der Feier zum 40-jährigen Jubiläum der DRF Luftrettung war für mich klar, dass hier zu arbeiten und als Zahnrädchen im großen Getriebe dieser Organisation den Menschen dort draußen zu helfen, ein absolutes Privileg ist“, schildert er seinen Entschluss. Heute ist Sven Hannen als Leiter Musterprüfleitstelle im Fachbereich Part-21 für die Einhaltung gesetzlicher Richtlinien und die Erbringung entsprechender Nachweise verantwortlich. Den Reiz seiner täglichen Arbeit beschreibt er so: „Jeden Tag etwas Neues zu erfinden, Probleme anzuhören, Lösungen zu präsentieren und Schnittstelle zur Behörde zu sein, ist ein sehr gutes Gefühl. Wir arbeiten in einem tollen Team zusammen, die Sicherheit des Hubschraubers steht immer im Vordergrund. Somit tragen auch wir einen wichtigen Teil zur Sicherheit der Besatzungen und der Patienten bei. Dieses Wissen bestätigt mich darin, dass ich meine Fähigkeiten genau an der richtigen Stelle einbringe."