Große Modifikation – große Verantwortung
Was eher nüchtern klingt, offenbart sich als abwechslungsreicher Arbeitsalltag: Der Entwicklungsbetrieb ist bei all diesen Modifikationen stets der primäre Ansprechpartner. Bei großen Modifikationen können die Kollegen in Zusammenarbeit mit der EASA (European Union Aviation Safety Agency, Europäische Agentur für Flugsicherheit), ein so genanntes STC (Supplemental Type Certificate, ein erweitertes Zertifikat eines Luftfahrzeugs nach einer Designänderung) ausstellen. Was sich dahinter verbirgt, definiert Sven Hannen so: „Ein System in unsere Hubschrauber zu integrieren, ist in etwa damit zu vergleichen, wenn man in sein Auto ein anderes Fahrwerk einbauen möchte. Das Auto ist nach klaren Bauvorschriften hergestellt und zugelassen. Durch ein geändertes Fahrwerk erlischt die Betriebserlaubnis. Für die Teilnahme am Straßenverkehr ist deshalb ein Nachweis erforderlich, dass das neue Fahrwerk im Auto den Bauvorschriften entspricht. Das ist entweder möglich, indem der Hersteller des Fahrwerks sein Produkt bereits mit genau diesem Auto zugelassen hat. Dann bekommt der Halter des Fahrzeugs eine sogenannte ABE (Allgemeine Betriebserlaubnis). Gibt es keine ABE, muss der Fahrzeughalter zum TÜV und dort eine Einzelabnahme vornehmen lassen. Der TÜV, prüft, testet und schaut sich die Bauvorschriften an. Wenn alles für gut befunden worden ist, gibt es einen Eintrag im Fahrzeugschein. Der Halter ist in unserem Fall die CAMO (Continuing Airworthiness Management Organisation). Die Funktion des TÜVs ist ein Teil der Aufgaben, die der Part-21 in einem Luftfahrtunternehmen wahrnimmt.“
Von der Anforderung zum einsatzfähigen Produkt
Ein zu entwickelndes Produkt (im Sinne von Reparatur, Modifikation) muss nicht nur den Anforderungen der DRF Luftrettung oder externer Kunden gerecht werden, sondern nachweisbar alle relevanten gesetzlichen Richtlinien erfüllen. Diese Präzision ist unerlässlich, um Menschenleben zu retten. Sowohl unsere Besatzungen als auch die Patient*innen müssen sich im Notfall auf die Zuverlässigkeit unserer Hubschrauber verlassen. Diese Zuverlässigkeit muss anhand von Tests und genauen Berechnungen nachgewiesen werden. Von der Idee zum fertigen Produkt durchläuft die Entwicklung verschiedene Phasen. „Wir dürfen natürlich nicht einfach überall rumschrauben“, macht Sven Hannen mit einem Augenzwinkern klar.
Nach Schritt 1, dem so genannten „Scope of work“, der beschreibt, welche Bereiche von der Entwicklung betroffen sind, erfolgt die weitere Klassifizierung: kleine oder große Modifikation? Handelt es sich also um einen eher geringfügigen Umbau der Maschine, etwa den Einbau eines Funkgeräts oder einer Borduhr? Oder liegt eine erhebliche Veränderung vor – zum Beispiel, wenn das Cockpit mit einem Touchscreen ausgestattet werden soll? „Derart umfangreiche Anpassungen dürfen wir nicht selbst zertifizieren und zulassen. Da muss die EASA mit ins Boot“, erklärt Sven Hannen. Egal, welche Art der Modifikation vorgenommen werden soll: Die Verantwortung für den ersten Einbau, also den so genannten Musterbau (Initial Airworthiness) und die dazu gehörigen Dokumente, liegt beim Fachbereich Part-21.
Ist das Produkt im „Prototype status“ entwickelt, wird es an den Instandhaltungsbetrieb, Fachbereich Part-145, übergeben. „In enger Zusammenarbeit mit dem Part-21 setzen die Kolleginnen und Kollegen dort die Modifikation im Hubschrauber um – und zwar nach den genehmigten Anweisungen und Unterlagen, die von uns erstellt wurden“, sagt Sven Hannen. „Nach erfolgtem Einbau schließen sich weitere Untersuchungen wie die Überprüfung auf elektromagnetische Verträglichkeit an.“ Sind alle Tests erfolgreich absolviert, werden alle Nachweise final vom Musterprüfingenieur gesichtet und die Einhaltung aller Paragraphen sowie Richtlinien überprüft. „Der finale Blick auf alle Unterlagen und Dokumente gehört Michael Kunze. Erst, wenn er keine Beanstandungen mehr hat, unterschreibt er das Zertifikat. Und auch erst dann ist die Lufttüchtigkeit des Hubschraubers wieder in Kraft gesetzt“, so Sven Hannen.
Zertifiziert und marktreif
Mit der Markteinführung ist die Arbeit des Entwicklungsbetriebs aber nicht abgeschlossen: „Nach der Markteinführung spielen Entwicklungsaktivitäten erneut eine Rolle, wenn Modifikationen, Erweiterungen oder umfangreiche Reparaturen am Ursprungsprodukt vorgenommen werden“, verdeutlicht Sven Hannen. Bei einem Teil ihrer Tätigkeit müssen die Mitarbeiter also nicht kreativ werden: der Suche nach neuen Aufgaben, denn die gehen ihnen so schnell nicht aus.